Die Rennaissance der Straßenbahn

Die Renaissance der Straßenbahn hat mittlerweile (fast) weltweit Einzug gehalten. Viele Städte rund um die Erde entdeckten in den letzten zwei Jahrzehnten die Straßenbahn als zukunftsweisendes, städtisches Verkehrsmittel wieder. Zu den Vorreitern dieser Entwicklung gehört  Frankreich, besonders deshalb, weil die Straßenbahn in diesem Land nicht nur als simples Fortbewegungsmittel angesehen wird, sondern als integraler Bestandteil der Stadtgestaltung. Daher werden Straßenbahnstrecken in Frankreich auch nicht ausschließlich nach technischen Kriterien und normgerechten Mindeststandards errichtet. Vielmehr steht eine gleichzeitige völlige Neugestaltung des Straßenraumes durch Schaffung ausgedehnter Fußgängerbereiche und Grünanlagen bei gleichzeitiger massiver Reduktion der KFZ- Flächen im Vordergrund. Diese ganzheitliche Betrachtungsweise trägt wesentlich zum Erfolg der französischen Straßenbahnbetriebe bei.

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Mitte der 70er- Jahre erkannte die französische Regierung die Probleme, die der wachsende MIV in allen größeren Ballungsräumen verursachte und beschloss daher ein umfangreiches Förderprogramm zur Schaffung elektrischer, spurgeführter innerstädtischer Massenverkehrsmittel. In der Folge wurden die größeren Städte des Landes aufgefordert, entsprechende Konzepte vorzulegen. Das Interesse hielt sich in Grenzen, viele der angesprochenen Städte planten zu der Zeit Metrosysteme (die aber von diesem Förderprogramm ausgeschlossen waren), man fürchtete um Parkplätze und die Entwicklung der Innenstadtwirtschaft. Lediglich Grenoble und Nantes entschlossen sich sofort zum Bau von Straßenbahnsystemen, 1985 wurde in Nantes die erste Linie eröffnet, nachdem das Projekt noch in der Bauphase fast von den Gegnern der Straßenbahn gestoppt worden wäre. Weitere, bereits in den 80er- Jahren geplante Betriebe (Reims, Brest) wurden von den Bürgern abgelehnt und vorerst nicht gebaut (inzwischen besitzen aber sowohl Reims als auch Brest eine Straßenbahn…). Als zweiter neuer Betrieb folgte zwei Jahre später Grenoble. Diese Stadt darf nicht nur für sich in Anspruch nehmen, das erste vollständig niederflurige und damit barrierefreie Straßenbahnsystem der Welt realisiert zu haben, hier wurde auch erstmals die Straßenbahn in eine gewachsene Altstadt integriert und gleichzeitig deren Einzugsbereich für den MIV gesperrt, die Tramway also als Instrument zur städtebaulichen Neuorganisation angesehen. Diese Strategie wurde dann auch bei allen späteren Systemen angewandt.

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Spätestens nach dem durchschlagenden Erfolg der Tramway in Strasbourg, bei der die städtebauliche Integration erstmals perfektioniert wurde, gehört die Skepsis mancher Kommunen gegenüber dem „neuen“ Verkehrsmittel endgültig der Vergangenheit an und seit Mitte der Neunzigerjahre stieg die Zahl der neuen Betriebe auf mittlerweile über 20 an, ein Ende dieser Entwicklung ist derzeit noch nicht abzusehen. In den nächsten Jahren werden noch einige weitere dazukommen und auch die bestehenden Netze werden in unvermindertem Tempo weiter ausgebaut.

Jede Stadt gehört zunächst den Fußgängern*

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Ein wesentliches Merkmal der neuen französischen Straßenbahnbetriebe ist die gesamtheitliche Planung, die die Straßenbahn nicht nur als Verkehrsmittel, sondern als Instrument zur städtebaulichen Neuorganisation des öffentlichen Stadtraumes betrachtet, der somit von seiner Funktion als reine (KFZ-) Verkehrsfläche zu einem qualitativ hochwertigen Aufenthaltsbereich für Fußgänger und gleichzeitig zu einer Visitenkarte der Städte aufgewertet wird. Ziel ist dabei eine umfassende Verbesserung der Aufenthaltsqualität für Passanten und Bewohner, die auch als Motor zur Ankurbelung der Wirtschaft verstanden wird. In der Regel wurde durch diese Attraktivierung des öffentlichen Verkehrs und konsequente Maßnahmen zur Verkehrsberuhigung eine Steigerungen der Kundenzahl in den Innenstädten um 20 bis 30% erreicht. Die auf diese Weise gewonnenen Flächen werden von der Bevölkerung sofort als Erweiterung des Wohnraumes in Besitz genommen.

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Die Straßenbahn hat uns einen Park gebracht

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Außerhalb der verkehrsberuhigten Fußgängerbereiche in den Stadtzentren werden die Straßenbahnstrecken konsequent vom übrigen Verkehr getrennt. Baulich abgetrennte Gleiskörper stellen eine Selbstverständlichkeit dar. Auch auf den Außenstrecken wurde der dafür benötigte Platz vielfach durch den Rückbau vormals mehrspuriger Hauptverkehrsstraßen gewonnen. Im Vordergrund steht auch dabei eine integrierte Gesamtplanung, die neben der Erneuerung der technischen Infrastruktur auch eine Sanierung des gesamten Straßenquerschnittes einschließlich der angrenzenden Bebauung umfasst. Viel Wert wird auf eine aufgeräumte und klare Organisation des Straßenraumes gelegt, die sich an den vorhandenen baulichen Gegebenheiten orientiert. Wo immer es möglich ist, werden diese Umbauten auch zur Schaffung von neuem Grünraum genutzt. Eine immer größere Bedeutung kommt dabei der Anlage von Rasengleisen zu, nicht selten entstehen entlang dieser Trassen auch neue Parkanlagen. Vor Allem in den Außenbezirken erfolgt in der Regel eine intensive Begrünung der von der Straßenbahn durchfahrenen Bereiche.

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Vorrang für die Tramway

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Eine weitere Selbstverständlichkeit stellt auch die absolute Bevorrangung der Tramway an allen Kreuzungspunkten mit dem übrigen Verkehr dar. Dafür sorgen nicht nur entsprechend angepasste Vorrangregelungen, sondern auch durch die Straßenbahn angesteuerte Ampelschaltungen, die dieser stets freie Fahrt ohne Wartezeiten gewähren.
Die französischen Straßenbahnbetriebe sind vollständig barrierefrei angelegt, jede Haltestelle bietet einen stufenlosen Einstieg in die Fahrzeuge, eine hohe Aufenthaltsqualität und umfassende Information der Fahrgäste gehören zum Standard. Die Haltestellen sind meist einheitlich gestaltet und haben dadurch auch einen hohen Wiedererkennungswert. Besonderes Augenmerk wird auf die Gestaltung von Umsteigestationen gelegt, die sich meist deutlich von den Standardhaltestellen abheben und kurze, witterungsgeschützte Umsteigewege bieten. Meist halten Straßenbahn und Anschlussbuslinien am selben Bahnsteig. Diese Schwerpunkthaltestellen werden oft von namhaften Architekten entworfen, die Endstation Hoenheim- Gare in Strasbourg beispielsweise von Zaha Hadid.

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Der Anspruch eines einheitlichen Designs beschränkt sich aber natürlich nicht nur auf die Haltestellen, die französischen Städte legen generell großen Wert auf ein unverkennbares Erscheinungsbild ihrer Tramway. Fast immer fließen dabei ganz spezifische Merkmale der jeweiligen Stadt in das Design des öffentlichen Verkehrs ein, die dadurch geschaffene Corporate Identity trägt wesentlich zur Akzeptanz der neu geschaffenen Verkehrsmittel in der Bevölkerung bei. Vielfach werden bekannte Designer – idealerweise mit direktem Bezug zur jeweiligen Stadt – mit dem Entwurf von Fahrzeugen und baulicher Infrastruktur betraut. Auf diese Weise gelingt es immer wieder, dass die Menschen sogar stolz auf „ihre Tramway“ sind. Durch diesen konsequent durchgeplanten, einheitlichen Auftritt wird die Straßenbahn auch zu einem integralen Bestandteil und damit zu einem eigenständigen und unverwechselbaren Erkennungsmerkmal jeder Stadt.

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Einzelne Linien befördern weit über 100.000 Fahrgäste pro Tag. Insgesamt wurden durch die Einführung des neuen, zuverlässigen, pünktlichen und schnellen Verkehrsmittels erhebliche Fahrgastzuwächse erzielt. Durch eine ansprechende Gestaltung der Infrastruktur und des Angebotes erreicht die Tramway in der Bevölkerung schnell eine hohe Akzeptanz. Straßenbahnfahren gilt in Frankreich mittlerweile als „chic“.
Unabhängig von der Finanzierungswilligkeit der Kommunen und Departements
Ein wesentlicher Anteil am Erfolg der französischen Nahverkehrssysteme liegt auch in der Form der Finanzierung begründet, die ausschließlich aus den Fahrgeldeinnahmen und den Erlösen der Transportsteuer (Nahverkehrsabgabe) bestritten wird, die von Kommunen eingehoben wird. Auf diese Weise verfügen die Aufgabenträger bzw Verkehrsbetriebe über ein gesichertes eigenes Betriebsbudget, aus dem auch notwendige oder gewünschte Investitionen getätigt werden können, ohne dass diese dabei von der Gnade der politischen Entscheidungsträger abhängig sind, wie das zB in Österreich der Fall ist. Die Betreiber des städtischen Nahverkehrs in Frankreich sind verpflichtet, mit den Erträgen aus den Fahrgeldeinnahmen und der Transportsteuer zumindest kostendeckend zu wirtschaften. Durch die Transportsteuer werden also die Haushalte der Kommunen bzw Departements von der Verpflichtung entbunden, Kostenunterdeckungen und Defizite des ÖPNV ausgleichen zu müssen, die Transportsteuer stellt also keineswegs eine zusätzliche finanzielle Belastung für die betroffenen Betriebe dar, sondern lediglich eine – für den ÖPNV zweckgebundene – Umschichtung von Steuerabgaben. Davon unabhängig werden Investitionen in Netzerweiterungen oft durch den Staat mittels einmaliger finanzieller Zuwendungen unterstützt, diese Förderungen werden periodisch einmal gewährt und dann wieder gestrichen, diese wechselnde Förderwilligkeit des Staates kann auch an den Eröffnungsdaten der neuen französischen Straßenbahnbetriebe abgelesen werden.

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Die Straßenbahn ist die städtebauliche Idee des Jahrhunderts*
Die Entwicklung in allen Städten – nicht nur in Frankreich – , die in den letzten Jahrzehnten neue Straßenbahnbetriebe eingeführt haben, belegt jedenfalls eindrucksvoll, dass durch die Schaffung eines hochwertigen, attraktiven, behinderungs- und barrierefreien öffentlichen Verkehrs nicht nur eine hohe Akzeptanz in der Bevölkerung und eine massive Änderung des Mobilitätsverhaltens erzielt werden können, sondern sogar eine Reduktion des motorisierten Individualverkehrs in den Stadtzentren möglich ist, ohne dass es dadurch zu negativen Folgeerscheinungen, zum Beispiel für die Innenstadtwirtschaft kommt. Im Gegenteil profitiert gerade die Wirtschaft von einer fußgängerfreundlichen Neugestaltung des Stadtraumes besonders, wie etwa die Steigerung der Kundenfrequenz um bis zu 30% in französischen Städten beweist. Die hierzulande immer noch geltende Befürchtung, die Streichung jedes einzelnen PKW- Stellplatzes würde eine Bedrohung für die im Umfeld angesiedelten Betriebe darstellen, wird dadurch jedenfalls deutlich widerlegt.

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*: Alain Chenard, ehemaliger Oberbürgermeister von Nantes und Initiator des ersten französischen Straßenbahnbetriebes der zweiten Generation
Quellen:
Christoph Groneck, Neue Straßenbahnen in Frankreich. EK-Verlag, Freiburg, 2003, ISBN. 3-88255-844-X
Harald. A. Jahn, Die Zukunft der Städte. Phoibos Verlag, Wien, 2010, ISBN. 978-3-85161-039-0
Christoph Groneck, Französische Planungsleitbilder für Straßenbahnsysteme im Vergleich zu Deutschland. Dissertation zur Erlangung des Doktorgrades im Fachgebiet D der Bergischen Universität Wuppertal, 2007 urn:nbn:de:hbz:468-20070643 [http://nbn-resolving.de/urn/resolver.pl?urn=urn%3Anbn%3Ade%3Ahbz%3A468-20070643]
Harry Hondius, Christoph Groneck, Thomas Naumann, verschiedene Beiträge zum Thema in: stadtverkehr, Fachzeitschrift für den öffentlichen Personen-Nahverkehr auf Schiene und Straße. EK-Verlag, Freiburg, ISSN 0038-9013
Links:
Detaillierte Informationen zu den einzelnen französischen Straßenbahnbetrieben sowie zahlreiche weitere Bilder:
[http://www.trams-in-france.net]

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